Titel: Und das Universum schweigt
Autorin: Johanna Wurzinger

â Johanna Wurzinger durfte ich knapp vor dem Lockdown bei einer Lesung in der Alten Schmiede kennenlernen. Damals trug sie ihre Kurzgeschichte âGloria Mundiâ vor, mit der sie den Eco-Fiction Kurzgeschichten-Wettbewerb von Global 2000 gewonnen hatte. Da mich ihre ErzĂ€hlweise damals schon sehr angesprochen hatte, habe ich ihren DebĂŒtroman gelesen, um ihn in unserer Zeitschrift & Radieschen vorzustellen. Die Rezension erschien in der Ausgabe #62. Am 13. September habe ich das Buch auĂerdem in unsere Radiosendung 7shoG mitgenommen.
Ein Mann und eine Frau, beide nicht mehr ganz jung, die sich im Urlaub kennenlernen.
Er: ein aus Wien geflĂŒchteter Autor, der sich im Vollrausch ins Flugzeug gesetzt hat.
Sie: Freundin von Irene. (Aber wer ist Irene? Welche Bedeutung hat sie?)
Johanna Wurzinger hĂ€tte aus diesen âZutatenâ einen leicht verdaulichen WohlfĂŒhlroman machen können. Da ist Viktor, der mit sich selbst und der Welt nicht mehr klarkommt und gerade seine Beziehung in den Sand gesetzt hat â dort Patrizia, die alles immer unter Kontrolle haben muss, sich auf keine lĂ€ngere Beziehung einlassen kann und bei der ersten gröberen Meinungsverschiedenheit davonlĂ€uft.
Ja, die Autorin hÀtte. Hat sie aber nicht.
âUnd das Universum schweigtâ gehört nĂ€mlich eindeutig nicht zu jenen Romanen, mit denen man sich gemĂŒtlich unter die Decke kuschelt, um vor der Welt (der Impfdebatte, den Hasspostern, dem Klimawandel und dem Druck der eignen Verantwortung) zu fliehen. Vielmehr zieht uns Wurzinger in ihrem DebĂŒtroman direkt in den Strudel dieser Themen hinein â und lĂ€sst uns mal 150 Seiten lang in Viktors Haut schlĂŒpfen und diversen Menschen und Meinungen begegnen, denen wir im âechten Lebenâ vielleicht lieber aus dem Weg gehen. Wie klarkommen mit all den sich widersprechenden Stimmen, die tĂ€glich auf uns einprasseln? Wie umgehen mit Eltern, die ihr Kind nicht impfen lassen wollen, weil sie der Meinung sind, dass der Körper ohnehin alles selbst reguliert â aber im selben Atemzug in der Hauskatze der Gastgeber eine Gefahr fĂŒr die Gesundheit ihres Babys sehen? Was antworten, wenn es heiĂt, Fluorid in der Zahnpasta mache uns alle zu gefĂŒgigen und leicht kontrollierbaren Schafen? Was tun gegen den Wahnsinn der Esoteriker:innen auf der einen Seite und dem Fortschrittsglauben auf der anderen, den sich immer schneller drehenden Konsumkreislauf, der nie still stehen darf, und das trotz schwindender Rohstoffe und verpesteter Umwelt? Wie die ErzĂ€hlstimme ausblenden, die immer alles zynisch kommentiert, die immer im Weg steht, wenn es darum geht, den Moment einfach mal zu genieĂen?
Als Leser:in muss man eine Entscheidung treffen. Entweder man verleibt sich den Viktor als Hauptmahlzeit ein und liest das Kapitel in einem Rutsch, oder man teilt sich den Viktor-Teil Kapitel in kleine HĂ€ppchen ein â die ohnehin gut portioniert in Unterkapiteln gereicht werden.
Wer schnell unter MagendrĂŒcken leidet, sollte in jedem Fall Variante zwei wĂ€hlen. Denn trotz des amĂŒsanten Tons, kann es bei manchen GesprĂ€chen doch leicht passieren, dass man denselben Knödel im Magen verspĂŒrt, wie wenn man sich die neuesten Nachrichten, ein Talkrunde auf Servus TV und eine Doku ĂŒber Chemtrails auf einmal reinzieht. Man möchte widersprechen. Möchte anschreien gegen den Unsinn, möchte aufstehen, sich umdrehen, mit einer TĂŒr knallen.
âWhen IÂŽve had enough of reality, I just open a book.â
Dieser Spruch wird gerade in der Buchblase auf Facebook geteilt.
Ist es die Aufgabe der Literatur, RealitĂ€tsflucht anzubieten? Muss immer alles schön verpackt mit einem rosa Mascherl und Erdbeer-WohlfĂŒhlaroma daherkommen?
Folgt man der zuckerlrosa Bookbubble auf Instagram, dann bekommt man schnell das GefĂŒhl, dass ja.
Johanna Wurzingers DebĂŒt ist nichts fĂŒr Leser:innen, die sich gern die Augen und Ohren zuhalten, sondern fĂŒr jene, die sich der Welt noch immer stellen. Die trotz Dauerkrise und Krieg noch immer das Mittagsjournal aufdrehen.
Ja, unsere Welt kann leicht dazu fĂŒhren, dass wir zynisch werden. Wer sich tĂ€glich die Nachrichten reinzieht, wer seinen Kopf nicht in den Sand steckt, wer die rosarote Brille standhaft verweigert, bleibt nur noch der Galgenhumor.
Ach, wie gut kann man diesen Viktor verstehen!
Nur die anderen, die verstehen Viktor leider gar nicht. Beziehungsweise sie verstehen ihn falsch und nehmen alles, was er in seinem Buch schreibt, fĂŒr bare MĂŒnze. Dabei wollte er den Spinnern doch den Spiegel vor Augen halten!
Und dann Cut. Wechsel zu Patrizia.
Die zweite HĂ€lfte, die Patrizia-HĂ€lfte, flutscht runter wie warmer Griespudding. Nicht, weil in Patrizias Leben alles leicht ist, aber weil Patrizia etwas kann, das Viktor nicht beherrscht. Warum den Vollidioten, der sich in einer #meetoo-Debatte als sexistisches Arschloch entpuppt, nicht einfach aus dem Ferienappartement werfen anstatt stundenlang mit ihm zu diskutieren? Warum nicht einfach mitten auf der Autobahn aussteigen, wenn ein GesprĂ€ch unangenehm wird? Warum nicht lieber eine Böschung raufklettern und sich zu FuĂ zurĂŒck nach Wien schlagen, anstatt sich etwas anzuhören, das weh tut?
Und deswegen sage ich: Johanna Wurzinger hĂ€tte das mit dem WohlfĂŒhlroman machen können. Hat sie aber nicht. Weil es den ganzen Viktor braucht, weil wir diesen Klumpen im Magen spĂŒren mĂŒssen, weil dieser Roman nur halb so intensiv wĂ€re, wenn es da einen netten Wechsel zwischen den beiden gegeben hĂ€tte.
Und wie passen Viktor, dessen Denken nie stillsteht, und der immer auf alles eine Entgegnung auf den Lippen hat und Patrizia, die einfach die TĂŒr zuschlĂ€gt, zusammen?
Tja, da sind wir nun beim Ende. Das ist nicht nur schön (und grad richtig kitschig), sondern enthÀlt sogar ein Rezept, wie auch wir die Welt in Zukunft besser verdauen könnten.
rezensiert in & RadieschenâZeitschrift fĂŒr Literatur #63/2022
Rezensionsexemplar


Titel: Und das Universum schweigt
Autorin: Johanna Wurzinger
Verlag: Elster und Salis
Publikationsjahr 2022
ISBN: 978â3â03930â028â0
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