📘 DIE WUT, DIE BLEIBT

Titel: Die Wut, die bleibt
Autorin: Mareike Fallwickl

🔖 Inhalt:
Drei Frauen stehen im Zentrum von Mareike Fallwickls neuem Roman. Eine von ihnen ist Helene — Mutter einer 15 ‑jĂ€hrigen Tochter und zwei kleiner Buben, Maxi ist fĂŒnf, Lucius ist noch ein Krabbelkind. Die Familie sitzt beim Abendbrot. Es ist laut, Maxi isst mit den Fingern, Lucius stĂ¶ĂŸt fast das Wasserglas um, die Tochter, Lola, sitzt mit ihrem Schmollgesicht am Tisch.
“Haben wir kein Salz?”, fragt Johannes, der Vater der beiden Buben. Mit diesem Satz beginnt das Buch, mit diesem Satz endet Helenes Leben. Statt das Salz zu holen, tritt sie auf den Balkon, “schaut nicht zurĂŒck, macht zwei weitere Schritte. Und dann diesen einen” 

Nach dem Selbstmord der Mutter ist nichts mehr wie zuvor. Alle fĂŒhlen sich irgendwie schuldig. Helens beste Freundin, Sarah, meint, dass sie etwas hĂ€tte bemerken mĂŒssen, Helene hat wĂ€hrend des Lockdowns ihren Job verloren und war mit den 3 Kindern in der engen Wohnung ĂŒberfordert. Johannes wiederum denkt an seinen Satz, wieso, fragt er sich, hat er nicht einfach auf das Salz verzichtet. Die fĂŒnfzehnjĂ€hrige Lola beginnt selbst zu verletzten und sogar Maxi fĂŒhlt sich verantwortlich fĂŒr den Tod seiner Mami, hĂ€tte er nur nicht wegen der Schokolade genervt.
Aber das Leben muss auch weitergehen, es geht immer irgendwie weiter. Lola geht zur Schule, Lola ĂŒbernimmt viel zu viel Verantwortung fĂŒr eine FĂŒnfzehnjĂ€hrige, Johannes geht weiterhin zur Arbeit, seine einzige Lösung besteht darin, die Oma einzubinden, die krank ist und der Aufgabe nicht nachkommen kann, die eigentlich selbst Pflege brĂ€uchte.
Also springt Sarah ein, Helenes beste Freundin. Sarah, die erfolgreiche Krimischriftstellerin, die keine Kinder hat, die mit einem jĂŒngeren Mann zusammenlebt – ein Zusammenleben, das sich im Lockdown irgendwie ergeben hat. Sarah hat Zeit. Und hĂ€tte Helene nicht dasselbe fĂŒr sie getan?
Bald schon ist Sarah Ersatzmutter fĂŒr Maxi und Lucius. Und irgendwie ist es ja auch schön, so gebraucht zu werden.
Und Lola? Sie ist Sarah dankbar, aber die beste Freundin ihrer Mutter macht sie auch wĂŒtend. Wieso organisiert sich Johannes nicht endlich neu? Wieso verlĂ€sst er das Haus nach wie vor jeden Morgen um 6, wieso fĂ€hrt er auf GeschĂ€ftsreise, wieso hĂ€ngt er Sarah die gesamte Verantwortung fĂŒr seine Kinder um? Und wieso lĂ€sst sich Sarah das alles umhĂ€ngen?
Immer mehr geraten Lola und Sarah in Diskussionen aneinander. 
Und genau in diesen Diskussionen liegt die StĂ€rke des Romans. Die FĂŒnfzehnjĂ€hrige, die sich als Feministin sieht und mit Genderthemen beschĂ€ftigt, und die vierzigjĂ€hrige Sarah , die selbst das GefĂŒhl hat, eine moderne, emanzipierte Frau zu sein, immerhin ist sie finanziell unabhĂ€ngig und als Autorin erfolgreich, sind die zwei Gegenpole in diesem Roman, der in abwechselnden Kapiteln beide Gedankenwelten in den Vordergrund rĂŒckt. Da geht es nicht nur um Care-Arbeit, da geht es auch um Bodyshaming und die Frage, wieso Frauen sich permanent ein schlechtes Gewissen umhĂ€ngen lassen. Denn so emanzipiert Sarah sich selbst fĂŒhlt – ihre eigenen WĂŒnsche steckt sie stets zurĂŒck, nie redet sie Klartext, weder gegenĂŒber Johannes noch gegenĂŒber ihrem momentanen Partner, der nicht dieselben Zukunftsvorstellungen hat wie sie und sich dennoch in ihrem Haus breitmacht. 

Und dann passiert Lola und ihrer Freundin Sunny etwas, das die beiden MĂ€dchen fĂŒr immer verĂ€ndern wird. Wie die zwei mit diesem Erlebnis umgehen, bestimmt den zweiten Teil des Romans. Hier wird das Buch radikal. Und ja, es schockiert. Denn die Autorin berĂŒhrt eine Frage, die hochaktuell ist – nĂ€mlich die, wie man mit TĂ€tern umgeht, die Gewalt an Frauen ausĂŒben. 

💬 Meine Meinung
“Die Wut, die bleibt” ist ein hochemotionales Buch. Ich musste es immer wieder aus der Hand legen, habe es in Etappen gelesen, nicht nur, weil es wĂŒtend und traurig macht, sondern auch und vor allem, weil Lola mich stellenweise genauso entlarvt hat wie Sarah. “Die Wut, die bleibt” lĂ€sst eine nicht kalt. Mareike Fallwickl schreibt Emotionen so unmittelbar und spĂŒrbar nieder, dass es eine richtig beutelt, beim Lesen. Und nicht nur das.
Werden wir doch alle ein bisschen radikaler. Hören wir endlich damit auf, uns klein zu fĂŒhlen. Und einreden zu lassen, dass wir Xanthippen, Drachen oder auch Stachelrochen sind, wenn wir uns MĂ€nnern selbstbewusst entgegenstellen und sagen: So nicht! Vor allem aber wĂ€re es an der Zeit, dass Frauen sich noch viel mehr solidarisieren – das fĂ€ngt schon bei der #metoo-Debatte an. Schockierend genug, wie viele Frauen noch immer die Augen rollen und meinen “Aber sie hat doch mitgemacht!” Dass viele Frauen es noch immer als ihre Pflicht sehen, die gesamte FĂŒrsorgearbeit zu ĂŒbernehmen, wĂ€hrend VĂ€ter/ EhemĂ€nner/ BrĂŒder sich nicht nur schulterzuckend abputzen und fĂŒr jede gewechselte Windel/ fĂŒr jedes gekochte Abendessen/ fĂŒr jeden Besuch bei der betagten Mutter eine Tapferkeitsmedaille einfordern. Und doch weiß ich: Auch diesmal wird es wieder Frauen geben, die sagen: “Aber geh, hör doch endlich auf, ĂŒbertreib doch nicht immer so!” Ihnen allen empfehle ich, sich mit Lola an einen Tisch zu setzen. Und endlich mal ein bisschen wĂŒtend zu werden. 

Titel: Die Wut, die bleibt
Autorin: Mareike Fallwickl
Verlag: Rowohlt
Erscheinungsjahr: 2022
Seiten: 380
ISBN: 978–3‑498–00296‑1
Leseprobe/ Verlag

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