Titel: Violeta
Autorin: Isabel Allende

Eine zauberhafte Familiengeschichte, in deren Mittelpunkt eine Frau steht – Violeta, die zur Zeit der spanischen Grippe als Sprössling einer reichen und angesehenen Familie im Haus der Kamelien zur Welt kommt, deren Familie jedoch von der Wirtschaftskrise hart getroffen wird – auch und vor allem durch die Misswirtschaft des Vaters, der sich verspekuliert und obendrein Steuern hinterzogen hat. Der Vater nimmt sich das Leben, die kleine Violeta zieht mit der kranken Mutter und den beiden Tanten aufs Land.
Isabel Allendes Roman umfasst 100 Jahre Geschichte. Violeta kommt während der Pandemie im Jahr 1920 zur Welt und verabschiedet sich im Pandemiejahr 2020 von ihrem Enkelsohn Camilo, an den sie ihren langen Brief richtet. Dazwischen liegen ein Weltkrieg, von dem Chile nicht viel mitbekommt, Jahre des Umbruchs, Jahrzehnte der Diktatur und schließlich die Jahre der Aufarbeitung.
Allende erzählt jedoch nicht nur die Geschichte Chiles, sondern auch und vor allem die Geschichte eines Kampfes um mehr Frauenrechte. Violeta selbst, die von ihrem Geliebten jahrelang mit Zuckerbrot und Peitsche behandelt wird und ihn aus Liebe nie verlässt, braucht ziemlich lange, bis sie erkennt, wie lange sie sich den patriarchalen Strukturen gebeugt hat. In jungen Jahren verlässt sie ihren Mann, einen deutschen Einwanderer, nach nur wenigen Ehejahren, weil sie sich in den Matscho und Lebemann Julian verliebt, mit dem sie Jahrzehnte in wilder Ehe lebt und von dem sie auch zwei Kinder bekommt. Julian ist Pilot und in allerlei zwielichtige Machenschaften verwickelt. Seine Maschine steht für jedermann bereit, Hauptsache, das Geld fließt. Wie sehr er nicht nur mit der Mafia, sondern vor allem mit dem späteren Unterdrückungsregime und der CIA verstrickt war, erfährt Violeta erst spät.
Violetas Familiengeschichte ist eine tragische. Ihr Sohn, der es dem Vater nie recht machen kann, steht als Studentenführer auf der schwarzen Liste und muss nach dem Sturz der sozialistischen Regierung das Land verlassen. Violetas Tochter wiederum ist drogenabhängig und stirbt bei der Geburt ihres Sohnes Camilo, der schließlich bei der Großmutter aufwächst.
Der Roman wird chronologisch erzählt, was dem Roman manchmal ein paar Längen beschert, vor allem am Schluss, als weltpolitisch nichts Spannendes mehr geschieht und Violeta eine alte Frau ist. Zu zusammenfassend sind die Ereignisse manchmal erzählt, denn dort, wo es wirklich spannend wird, hält sich Allende nicht länger auf als bei weniger bewegenden Familiengeschehnissen. Aber das passt natürlich zu der alten Frau, die sich erinnert und ihrem Enkel in einem langen Brief aus dem eigenen Leben erzählt.
Die großen und kleinen Tragödien kommen und gehen – so ist das Leben nun mal. Manches wirkt länger nach, anderes ist schnell vergessen, und die große Tragik erkennt man sowieso immer erst hinterher. Zumal Violeta gehört nicht zu den Frauen gehört, die sich von einer Depression niederstrecken lassen.
Die Rezensionen fallen – wie so oft im Fall Isabel Allende — unfreundlich aus. Violeta sei keine Literatur, sondern maximal ein nett zu lesender Schmöker, heißt es da zum Beispiel. Das Urteil, wo Literatur beginnt und wo sie endet, sollen andere fällen. (Überhaupt frage ich mich: Wieso wird seit Jahrzehnten in den Feuilletons gejammert, wie kitschig Allendes Bücher seien? Wieso nicht einfach die Klappe halten? Weil Suhrkamp drauf steht? Weil man was braucht, worüber man sich das Maul zerreißen kann? Oder weil sich keine traut, ganz einfach zu schreiben: Also mir hat es gefallen?) Fakt ist: Allende wird von Millionen Leserinnen (Leser*innen?) auf der Welt gelesen – und das seit den Achtzigerjahren. Für mich war es übrigens das erste Allende-Buch. (Eva Luna hatte ich mal begonnen, aber ziemlich schnell wieder weggelegt; vielleicht versuche ich es nochmals, es steht ja noch in meinem Regal.)
Was mir an Violeta so gut gefiel: Ich mochte Allendes Erzählstil. Vor allem aber schafft es die Autorin, politische Geschichte mit persönlichen Schicksalen zu verknüpfen. Zugegeben, manchmal kamen mir die einzelnen Ereignisse zu knapp, während mich andere weniger interessiert haben, aber in Violeta geht es ja auch nicht um die Diktatur an sich, sondern um Frauenrechte und den langen Kampf um diese. Tatsächlich war ich schockiert, als ich erfuhr, dass die Möglichkeit, sich scheiden zu lassen, in Chile erst seit 2004 existiert.

Titel: Violeta
Autorin: Isabel Allende
Übersetzung: Svenja Becker
Verlag: Suhrkamp
Erscheinungsjahr: 2022
Seiten: 400
ISBN: 978–3‑518–43016‑3
